29. November 2024
Mit Urteil vom 19.09.2024, Az. C-264/23 stellt der Gerichtshof der Europäischen Union („EuGH“) klar, dass grundsätzlich alle Arten von Bestpreisklauseln dem Kartellverbot unterfallen und setzt damit ein wichtiges Signal für den Wettbewerbsschutz.
Konkret befasste sich das Urteil mit der von der Buchungs- und Beherbergungsplattform Booking.com (sog. OTA – Online Travel Agency) verwendeten Bestpreisklauseln, die verhindern, dass Hotels ihre Unterkünfte anderweitig zu einem niedrigeren Preis als auf der Buchungsplattform anbieten können. Auf diese Weise kann Booking.com konkurrenzfähige Preise anbieten und Kunden an sich binden. Hinzu kommt, dass Booking.com für jede erfolgreiche Buchung eine Provision von dem Hotel erhält, die in den von dem Kunden zu entrichtenden Zimmerpreis eingerechnet wird. Dies bedeutet, dass eine Direktbuchung bei dem Hotel selbst für den Kunden günstiger wäre, da die Kosten für die Provision entfallen.
Ursprünglich nutzte Booking.com sog. weite Bestpreisklauseln, die es kooperierenden Hotels untersagten, weder auf der eigenen Webseite noch auf anderen Vertriebskanälen günstigere Preise anzubieten. Diese Form der Klauseln wurden bereits 2015 für unzulässig erklärt, woraufhin Booking.com zum Einsatz von engen Bestpreisklauseln überging. Diese erlauben es den kooperierenden Hotels zwar, ihre Zimmer auf anderen Hotel-Portalen preiswerter anzubieten, schreibt ihnen aber weiterhin vor, dass der Preis auf hoteleigenen Webseiten nicht niedriger sein darf als bei Booking.
Nach Angaben von Booking.com besteht der Hauptzweck der engen Bestpreisklauseln darin, zu verhindern, dass Beherbergungsbetriebe in unlauterer Weise und ohne Gegenleistung von den von Booking.com angebotenen Dienstleistungen und der Sichtbarkeit über Booking.com profitieren (sog. „Trittbrettfahrer“) und dass sich die Investitionen in die Entwicklung der Such- und Vergleichsfunktion von Booking.com nicht amortisieren.
Booking.com verlangte die Feststellung, dass die Bestpreisklauseln nicht wettbewerbswidrig sind. Der EuGH hatte somit auf Vorlage eines Bezirksgerichts in Amsterdam die zentrale Frage der rechtlichen Bewertung der engen Bestpreisklauseln im Lichte des europäischen Kartellrechts zu entscheiden und entschied, dass enge Bestpreisklauseln in dieser Form gegen das Kartellverbot verstoßen.
Die rechtliche Begründung des EuGH stützt sich auf Art. 101 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der zentralen Norm des Kartellrechts. Art. 101 Abs. 1 AEUV umfasst das Kartellverbot und regelt, dass Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die geeignet sind den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und zu einer Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts führen, verboten sind.
Bestpreisklauseln als von dem Kartellverbot ausgenommenen Nebenabreden?
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH fallen bestimmte Maßnahmen oder Tätigkeiten wegen ihrer Neutralität oder ihrer positiven Auswirkungen auf den Wettbewerb auch dann nicht unter das Kartellverbot, selbst wenn sie mit einer Beschränkung der wirtschaftlichen Autonomie der an der Maßnahme oder Tätigkeit Beteiligten verbunden sind (sog. Nebenabrede), sofern diese Beschränkung für die Durchführung der Maßnahme oder Tätigkeit objektiv notwendig ist und in einem angemessenen Verhältnis zu den verfolgten Zielen steht. Die positive Auswirkung auf den Wettbewerb bejaht der EuGH in Bezug auf OTA’s, da Verbraucher über Plattformen wie Booking.com Zugang zu einer Vielzahl von Unterkunftsangeboten haben und diese vergleichen können. Umgekehrt ermöglicht Booking.com den Hotelbetrieben eine größere Sichtbarkeit.
Eine Beschränkung kann nur dann als zulässige Nebenabrede eingestuft werden, wenn die Durchführung der Hauptmaßnahme, die keinen wettbewerbswidrigen Charakter hat, ohne die fragliche Beschränkung unmöglich wäre. Zudem muss die fragliche Beschränkung in einem angemessenen Verhältnis zu den mit ihr verfolgten Zielen stehen, es muss also ermittelt werden, ob es realistische Alternativen gibt, die den Wettbewerb weniger beschränken als die fragliche Beschränkung. Eine Abwägung der wettbewerbsfördernden und wettbewerbswidrigen Auswirkungen einer Vereinbarung, wie sie für eine Freistellung vom Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 3 AEUV erforderlich wäre, ist nicht erforderlich.
Der EuGH hat nun festgestellt, dass auch die enge Bestpreisklausel keine bloße Nebenabrede ist und damit unter das Kartellverbot fällt. Zwar hätten enge Bestpreisklauseln auf den ersten Blick eine geringere wettbewerbsbeschränkende Wirkung und dienten dem Zweck, treuwidriges Verhalten und „Trittbrettfahrer“ zu verhindern und die wirtschaftliche Lebensfähigkeit von Booking.com zu sichern, allerdings ist laut EuGH nicht ersichtlich, dass diese engen Bestpreisklauseln objektiv notwendig sind, um die wirtschaftliche Tragfähigkeit von Booking.com zu gewährleisten. Die Tatsache, dass die Bestpreisklauseln etwaigen möglichen Trittbrettfahrern entgegenwirken sollen und unerlässlich sind, um Effizienzgewinne oder den wirtschaftlichen Erfolg von Booking.com zu sichern, reicht nicht aus, um diese Klauseln als Nebenabreden zu qualifizieren. Zu diesem Ergebnis kam der Kartellsenat des BGH bereits im Jahr 2021 (vgl. BGH, Beschluss v. 18.05.2021 – KVR 54/20). Nach Auffassung des EuGH kann diese Tatsache lediglich im Rahmen einer Freistellungsprüfung iSd. Art. 101 Abs. 3 AEUV berücksichtigt werden.
Bestpreisklauseln als von Art. 101 Abs. 3 freigestellte vertikale Vereinbarungen i.S.d. vertikalen Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO)
Gemäß Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO gilt eine Freistellung von dem Kartellverbot i.S.d. Art. 2 Vertikal-GVO nur, wenn der Anteil des Anbieters an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragsware oder -dienstleistungen anbietet, und der Anteil des Abnehmers an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragsware oder -dienstleistung bezieht, jeweils 30% nicht überschreiten. Nur so kann nach Auffassung des EuGH sichergestellt werden, dass die durch die Vertikal-GVO bewirkten Freistellungen nur solchen Vereinbarungen zugutekommen, von denen mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, dass sie die Voraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllen, d.h. dass die Vereinbarungen die Warenerzeugung oder Warenverteilung verbessern oder den wirtschaftlichen oder technischen Fortschritt fördern und die Verbraucher an dem entstehenden Gewinn angemessen beteiligen. Oberhalb der Marktanteilsschwelle von 30% kann daher nicht mehr davon ausgegangen werden, dass vertikale Vereinbarungen stets objektive Vorteile mit sich bringen, die in Art und Umfang ausreichen, um die Nachteile auszugleichen, die sie für den Wettbewerb mit sich bringen.
Während der BGH eine Freistellung der Bestpreisklauseln von dem Kartellverbot abgelehnt hatte, weil der Marktanteil von Booking.com mehr als 30% betrage, stellte der EuGH die Frage, wie der sachlich relevante Markt für die Zwecke der Anwendung der Vertikal-GVO zu definieren sei. Die Marktabgrenzung ist ein Instrument, um einen Bereich zu ermitteln und abzugrenzen, in dem Unternehmen miteinander im Wettbewerb stehen. Erforderlich sei daher die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs zwischen den zu dem Markt gehörenden Erzeugnisse oder Dienstleistungen, so dass ein hinreichender Grad an Austauschbarkeit zwischen allen zum gleichen Markt gehörenden Erzeugnisse oder Dienstleistungen in Hinblick auf die gleiche Verwendung vorliegt. Der BGH hat den sachlich relevanten Produktmarkt als „Markt für Hotelplattformen“ definiert, der als der Markt abgegrenzt wurde, auf dem Online-Hotelplattformen Vermittlungsleistungen für Beherbergungsbetriebe anbieten. Nach Ansicht des EuGH ist es erforderlich, erneut eingehend zu prüfen, ob andere Arten von Vermittlungsdienstleistungen und andere Verkaufskanäle sowohl aus der Sicht der Hotels als auch aus der Sicht der Endkunden mit den von Booking.com erbrachten Dienstleistungen austauschbar sind, auch wenn diese Kanäle unterschiedliche Merkmale aufweisen und nicht die gleichen Features bieten, und ob der relevante Markt somit einen größeren Umfang hat als der Markt für Hotelbuchungsportale. Zur Feststellung der relevanten Marktanteilsschwellen müsse daher geprüft werden, ob Online-Vermittlungsdienste und andere Vertriebskanäle aus Angebots- und Nachfragesicht austauschbar sind. Zwar komme der Einstufung des BGHs eine besondere kontextbezogene Bedeutung zu, der Beschluss des BGH entfalte jedoch außerhalb Deutschlands keine eigene Bindungswirkung und wirke auch nicht im Wege eines Anscheinsbeweises.
Vor diesem Hintergrund ist daher davon auszugehen, dass enge Bestpreisklauseln jedenfalls solange zulässig sind, wie der Klauselverwender einen Marktanteil von 30% nicht überschreitet und damit nicht marktmächtig ist. Sobald ein Anbieter marktmächtig ist und auf Bestpreisklauseln zurückgreift, können diese nur dann vom Kartellverbot nur freigestellt werden, wenn nachgewiesen wird, dass die Beschränkungen der Bestpreisklausel unerlässlich sind, um die mit ihr verfolgten Ziele zu erreichen. Dieser Nachweis wird allerdings nur in Ausnahmefällen gelingen. Der Einsatz von Bestpreisklauseln unterliegt daher hohen Hürden.
Nebenabreden im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV sind demnach Vereinbarungen, die im Zusammenhang mit Maßnahmen getroffen werden, die unter normalen Umständen den Wettbewerb beschränken würden. Eine Nebenabrede ist nur dann zulässig, wenn die Hauptmaßnahme, die an sich nicht wettbewerbswidrig ist, ohne diese Einschränkung nicht umsetzbar wäre. Darüber hinaus muss die Einschränkung durch die Nebenabrede angemessen und objektiv notwendig sein, d.h. es darf keine realistischen Alternativen geben, die den Wettbewerb weniger beeinträchtigen würden. Bei der Prüfung der objektiven Notwendigkeit der Einschränkung kommt es gerade nicht darauf an, ob die Einschränkung aufgrund der Wettbewerbssituation auf dem Markt erforderlich ist, um den wirtschaftlichen Erfolg der Hauptmaßnahme zu sichern. Entscheidend ist vielmehr, ob die Einschränkung für die Durchführung der Hauptmaßnahme unerlässlich ist.
Ansprechpartner:
Alexander Saueracker, Rechtsanwalt, Partner
THEOPARK Rechtsanwälte und Steuerberater Part mbB
Tel.: +49 (9 11) 50 96 17 40 | E-Mail: alexander.saueracker@theopark.com
Natalie Freiin von Beust, Rechtsanwältin, Associate
THEOPARK Rechtsanwälte und Steuerberater Part mbB
Tel.: +49 (911) 50961761 I E-Mail: natalie.von.beust@theopark.com